Montag, 2. Juli 2018

Faszinierende Schilderungen des Mönchslebens in der Ägyptischen Wüste sowie eine Prophezeiung des Hl. Martin von Tours. Aus den “Drei Dialogen” des Sulpicius Severus (um 420)




Es kam uns das Verlangen, nach Karthago zu gehen, die Stätten der Heiligen aufzusuchen und besonders am Grabe des Märtyrers Cyprian zu beten. Nach fünfzehn Tagen kehrten wir zum Hafen zurück und stachen wieder in die See mit dem Kurs nach Alexandrien. Ein widriger Südwind hätte uns beinahe auf die Syrten getrieben, allein die umsichtigen Schiffsleute wichen der Gefahr aus und gingen vor Anker. Vor unseren Augen lag das Festland; wir fuhren in Kähnen hinüber. Da wir nirgends Spuren menschlicher Ansiedlungen wahrnahmen, wurde meine Neugierde wach; ich ging weiter landeinwärts, um die Gegend auszukundschaften. Ungefähr drei Meilen von der Küste erblickte ich mitten im Sande eine kleine Hütte. Ihr Dach glich einem Schiffskiele, wie Sallust sagt, war mit starken Dielen gedeckt und reichte bis auf den Boden. Man hat sich zwar dort nicht vor gewaltigen Regenschauern zu fürchten — denn dort hat noch nie jemand etwas von einem Regenschauer gehört —, allein die Stürme sind derart gewaltig, daß man in jenen Landstrichen schon mehr Unheil befürchten muß, als irgendwo auf dem Meer, wenn einmal auch bei nahezu klarem Himmel eine nur mäßige Brise einsetzt. Gras oder Saaten kommen hier nicht fort, da der Boden nicht fest ist und der trockene Sand von jedem Windstoß davongetragen wird. Wo aber Vorgebirge auf der Seite, die vom Meere abliegt, die Winde auffangen, ist der Boden ein klein wenig fester und lässt spärlich rauhes Gras hervorspriessen, das den Schafen gute Nahrung bietet. Die Einwohner leben von Milch; wer aber von ihnen unternehmender oder, wenn ich so sagen soll, reicher ist, nährt sich von Gerstenbrot. Gerste allein wird dort geerntet. Bei dem raschen Wachstum, wie es jener Boden dort ermöglicht, fällt sie gewöhnlich dem Verderben der rasenden Orkane nicht zum Opfer; soll sie doch schon dreißig Tage nach der Aussaat zur Reife kommen. Daß hier Menschen bestehen können, ist einzig und allein der Steuerfreiheit zu danken. Dieses Gebiet umschließt die äußerste Küste der Cyrenaica und stößt an jene Wüste, die zwischen Ägypten und Afrika liegt; durch diese führte einst Cato auf seiner Flucht vor Cäsar sein Heer.

(4.) Ich ging also zu jener Hütte, die ich von der Ferne erblickt hatte. Dort fand ich einen Greis; er war mit Fellen bekleidet und drehte an einer Handmühle. Er grüßte uns und nahm uns freundlich auf.
Wir erklärten ihm, wir seien an dieses Gestade geworfen worden und würden jetzt durch die Seestille an der sofortigen Weiterfahrt gehindert; wir seien ans Land gegangen, um dem natürlichen Wissensdrang nachzugeben, die Bodenbeschaffenheit wie die Kultur der Einwohner kennen zu lernen. Wir seien Christen und deshalb möchten wir vor allem in Erfahrung bringen, ob es in dieser Einöde auch Christen gebe. Jetzt warf sich jener uns mit Freudentränen zu Füßen; immer und immer wieder küsste er uns und lud uns zum Gebete ein. Er breitete Hammelfelle auf den Boden aus und ließ uns Platz nehmen. Dann setzte er uns ein wahrhaft reichliches Mahl vor, ein halbes Gerstenbrot, Wir waren unser vier, er der fünfte. Er brachte auch ein Büschel Kräuter herbei, deren Name mir entfallen ist; sie glich der Minze, hatte viele Blätter und den Geschmack von Honig. Uns mundete dieses süße und wohlschmeckende Gericht gar sehr, und wir aßen uns satt"...
“Als am folgenden Tage einige der Einwohner uns besuchten, erfuhren wir, daß unser Gastgeber Priester sei; er hatte uns das sorgfältig zu verheimlichen gewußt. Wir gingen dann mit ihm zur Kirche, die unserem Auge verborgen war, weil sie in einer Entfernung von ungefähr zwei Meilen hinter einem Berge lag. Sie war in Fachwerk aus gewöhnlichen Zweigen und Ästen hergestellt und sah nicht viel größer aus als die Hütte unseres Gastgebers, in der man nur gebückt stehen konnte. Als wir uns nach den Sitten der Einwohner erkundigten, machten wir die auffallende Wahrnehmung, daß sie von Kauf und Verkauf nichts wissen. Betrug und Diebstahl sind ihnen unbekannte Begriffe. Gold und Silber, das die Menschen als das Höchste preisen, besitzen sie nicht und haben auch kein Verlangen danach. Als ich nämlich jenem Priester zehn Goldstücke anbot, wies er sie zurück und erklärte in hoher Weisheit, Gold errichte nicht die Kirche, sondern vernichte sie. Wir schenkten ihm dafür einige Kleidungsstücke. Er nahm sie dankbar an.




(6.) Hierauf riefen uns die Schiffsleute ans Gestade zurück; so schieden wir von ihm. Nach glücklicher siebentägiger Fahrt langten wir in Alexandrien an. Hier lagen Bischöfe und Mönche in schimpflichem Zwiste miteinander. Veranlassung oder Ursache davon war: die Bischöfe hatten auf mehreren Versammlungen durch verschiedene Dekrete verboten, die Schriften des Origenes zu lesen oder zu besitzen. Dieser Origenes galt zwar als der gelehrteste Ausleger der Hl. Schrift, allein die Bischöfe wiesen auf manche Stellen in seinen Büchern hin, die ungesunden Geist verrieten; seine Anhänger wagten nicht, diese Sätze zu verteidigen, behaupteten vielmehr, sie seien von den Häretikern in betrügerischer Weise eingeschoben worden; man dürfe daher der Stellen wegen, die mit Fug und Recht getadelt werden, nicht auch alles andere verwerfen. Der Glaube der Leser könne ja leicht soweit unterscheiden, dass er keine Fälschung annehme und das beibehalte, was im katholischen Geiste geschrieben sei. Man dürfe sich aber nicht darob wundern, daß häretischer Betrug sich an neue, unlängst geschriebene Bücher gewagt habe; er habe sich ja mancherorts nicht gescheut, sich an der Wahrheit des Evangeliums zu vergreifen. Indes die Bischöfe blieben hartnäckig bei ihrem Widerstand und zwangen kraft ihrer Amtsgewalt dazu, mit dem Schlechten und mit dem Verfasser selbst auch alles Gute zu verwerfen; es gebe ja noch Bücher mehr als genug, die in der Kirche Aufnahme gefunden hätten. Eine Lektüre, die den Unverständigen mehr Schaden, als den Verständigen Nutzen bringe, sei daher zu unterdrücken. Als ich manche Teile jener Werke mit mehr Aufmerksamkeit las, fand ich an sehr vielem Gefallen, an manchem aber stieß ich mich. Origenes ist an diesen Stellen ohne Zweifel nicht richtiger Ansicht; allein seine Verteidiger erklären diese Stellen für gefälscht. Ich muß mich wundern, daß ein und derselbe Mann solche Gegensätze in sich vereinigen konnte. Da wo er Billigung verdient, hat er nicht seinesgleichen seit den Aposteln; dagegen behauptet man, da wo er mit Recht Tadel finde, sei niemand auf schimpflichere Irrwege geraten.

(7.) Unter vielen Stellen, die von den Bischöfen aus seinen Schriften ausgehoben waren und verlesen wurden, weil sie offenbar gegen den katholischen Glauben verstießen, rief besonders jene Stelle den Argwohn wach, in der man lesen konnte, unser Herr Jesus sei für die Erlösung des Menschengeschlechtes im Fleische erschienen, habe die Kreuzesstrafe für das Heil der Menschen erduldet und um ihrer ewigen Seligkeit willen den Tod gekostet. Ganz in der gleichen Weise werde er auf demselben Leidenswege auch den Teufel erlösen; denn es entspreche seiner Güte und Liebe, daß er auch den gefallenen Engel befreie, wie er die irre gegangenen Menschen auf den rechten Weg gebracht habe. Da die Bischöfe solches und anderes vorbrachten, entstanden Parteiungen, und schließlich kam es zum Aufruhr. Die Bischöfe vermochten diese Unruhe durch ihr eigenes Ansehen nicht zu unterdrücken, sie zogen deshalb, was sehr bedauerlich war, den Präfekten bei, um die Zucht in der Kirche wiederherzustellen. Aus Furcht vor diesem zerstreuten sich die Brüder und flüchteten die Mönche nach verschiedenen Gegenden; denn sie durften sich nach dem Erlasse nirgends niederlassen.  
Es gab mir zu denken, daß jetzt ganz besonders Hieronymus, ein durch und durch katholischer und in der Hl. Schrift sehr bewanderter Mann, alle Schriften des Origenes verurteilte, während er doch anfänglich im Rufe stand, Anhänger des Origenes zu sein. Allein ich möchte mir über niemand ein Urteil erlauben, sollen doch hervorragende, gelehrte Männer in dieser Streitfrage verschiedener Ansicht sein. Übrigens mag ein Irrtum vorliegen, was meine Anschauung ist, oder eine wirkliche Häresie, was von anderen angenommen wird; auf jeden Fall waren die zahlreichen scharfen Maßregeln der Bischöfe nicht geeignet, die Bewegung einzudämmen; sie hätte nicht so große Ausdehnung angenommen, hätte nicht der Zwist sie vergrößert.
Dieser Streit wogte nun auf und ab, als ich nach Alexandrien kam. Der Bischof dieser Stadt nahm mich zwar überaus gütig auf, besser als ich es erwartet hatte; er suchte mich bei sich zurückzuhalten, allein ich hatte keine Lust, da zu bleiben, wo eben noch blinder Haß gegen Brüder wütete. Macht es vielleicht auch den Eindruck, es sei Pflicht der Brüder gewesen, den Bischöfen Gehorsam zu leisten, so hätte doch nicht aus diesem Grund eine so zahlreiche Brüderschar, die im Bekenntnis Christi zusammenlebte, ins Elend gebracht werden sollen, zumal nicht von Bischöfen.

(8.) Ich ging also von da weiter und kam nach Bethlehem, das von Jerusalem sechs Meilen, von Alexandrien sechzehn Tagesreisen entfernt ist. Der Priester Hieronymus steht der dortigen Kirche vor, die zum Sprengel des Bischofs von Jerusalem gehört. Schon früher auf meiner ersten Wanderfahrt hatte ich Hieronymus kennen gelernt. So ist es leicht verständlich, daß er die größte Anziehungskraft auf mich ausübte. Dieser Mann besitzt nicht bloß Verdienste um den Glauben und reiche Tugend, sondern ist auch im Lateinischen und Griechischen, ja sogar im Hebräischen derart bewandert, daß sich niemand mit ihm in irgendeiner Wissenschaft zu messen wagt. Ich müßte mich wundern, wäre er nicht auch euch durch seine vielen Schriften bekannt geworden, da man ihn in der ganzen Welt liest"...

"Ich blieb sechs Monate bei Hieronymus. Sein beständiger Kampf und Streit gegen die Bösen zog ihm den Haß der Schlechten zu. Die Häretiker hassten ihn, weil er unablässig wider sie Fehde führte. Die Kleriker haßten ihn, weil er ihren Lebenswandel und ihre Vergehen geißelte. Dagegen sind alle Guten für ihn voll Bewunderung und Liebe; denn wer ihn für einen Häretiker hält, ist sicherlich nicht recht bei Sinnen. Wahrhaftig, ich behaupte, er ist ein Mann von katholischem Wissen und gesunder Lehre; immer ist er am Lesen, immer mit Büchern beschäftigt; weder bei Tag noch bei Nacht gönnt er sich Ruhe, immer liest oder schreibt er etwas. Hätte ich mir nicht fest vorgenommen und Gott versprochen gehabt, meinem früheren Plane entsprechend in die Einöde zu gehen, so hätte ich auch nicht einen Augenblick von der Seite eines solchen Mannes weichen mögen. So aber übergab und überließ ich ihm meine ganze Habe samt der Dienerschaft, die sich mir gegen meinen Willen angeschlossen hatte, mir aber nur hinderlich war. Jetzt sozusagen einer drückenden, schweren Last ledig geworden, ging ich vollkommen frei nach Alexandrien zurück. Dort besuchte ich die Brüder und begab mich dann in die obere Thebais, d. h. bis an die Grenzen von Ägypten. Man hatte mir nämlich gesagt, daß sich in den dortigen weiten Wüsteneinöden viele Mönche aufhielten. Es würde jedoch zu weit führen, wollte ich alles erzählen, was ich gesehen habe. Ich will mich kurz fassen.

(10.) Am Rande der Wüste lagen viele Klöster nahe beim Nil. Die Mönche wohnen manchmal an einem Orte bis zu einhundert zusammen. Als wichtigste Regel gilt bei ihnen, nach dem Willen des Abtes zu leben, nicht nach eigenem Gutdünken zu handeln, in allem von dessem Willen und Befehl abzuhängen. Wenn einer von ihnen in sich das Verlangen nach vollkommenerer Tugend verspürt und sich in die Einöde begeben will, um hier als Einsiedler zu leben, so tut er diesen Schritt nur mit Erlaubnis des Abtes. Das ist also bei ihnen die Krone der Tugenden, sich fremdem Willen unterzuordnen. Denen, die mit Gutheißung ihres Abtes in die Wüste gegangen sind, wird Brot und andere Speise zugeschickt. Während der Tage meines Aufenthaltes hatte gerade ein Abt einem, der sich vor kurzem in die Einöde zurückgezogen und in einer Entfernung von nur sechs Meilen vom Kloster sich eine Zelle errichtet hatte, ein Brot durch zwei Knaben zugesandt. Der ältere von diesen war fünfzehn, der jüngere zwölf Jahre alt. Auf dem Heimweg trafen sie auf eine riesengroße Schlange; doch diese Begegnung erschreckte sie nicht. Sobald die Schlange bis zu ihren Füßen gekrochen war, drückte sie ihren dunkelblauen Kopf nieder, als wäre sie durch einen Zauberspruch gebannt. Der jüngere Knabe ergriff sie mit der Hand, wickelte sie in seinen Mantel und trug sie mit sich. Wie ein Sieger kam er im Kloster den Brüdern entgegen, vor aller Augen breitete er den Mantel auseinander und legte nicht ohne stolzes Prahlen das gefangene Tier vor sich auf den Boden. Die meisten rühmten den Glauben und die Tugend des Knaben. Der Abt aber in seinem weisen Bestreben, ihnen den jugendlichen Stolz zu benehmen, schlug beide mit der Rute; er schalt sie heftig aus, weil sie das verraten hätten, was der Herr durch sie gewirkt hatte. Nicht ihr Glaube habe das bewirkt, sondern die göttliche Wundermacht; sie müßten viel eher lernen, Gott in Demut zu dienen, nicht mit Zeichen und Wundertaten sich brüsten; denn besser sei es, seiner Schwachheit sich bewußt zu bleiben, als sich wegen seiner Wundertaten eitel zu erheben.

(11.) Jener Mönch hörte davon, wie die Kinder durch das Zusammentreffen mit der Schlange in große Gefahr gekommen waren und dann, als sie die Schlange gebändigt hatten, obendrein mit vielen Schlägen gezüchtigt wurden. Da bat er den Abt, man möge ihm fürderhin kein Brot noch sonst irgendeine Speise senden. Schon war der achte Tag vorüber, seit sich der Mann Christi freiwillig der Gefahr des Hungertodes ausgesetzt hatte. Das Fasten dörrte die Glieder aus, allein sein Geist, der auf den Himmel gerichtet war, konnte nicht ermüden. Der Leib ermattete vor Hunger, der Glaube blieb ungebrochen stark. Mittlerweile hatte der Geist den Abt angetrieben, seinen Schüler aufzusuchen. Voll treubesorgter Liebe, beseelt vom Verlangen, zu erfahren, womit der glaubensstarke Mann sein Leben friste, der kein Brot von einem Menschen annehmen wollte, machte er sich selbst auf die Suche nach ihm. Sobald der Mönch den Greis von ferne kommen sah, lief er ihm entgegen, dankte ihm und führte ihn zu seiner Zelle. Als sie miteinander eintraten, sahen sie vorn an dem Türpfosten einen Korb aus Palmzweigen hängen, der mit warmen Broten angefüllt war. Zunächst rochen sie den warmen Duft des Brotes, als sie es dann berührten, hatten sie den Eindruck, als wäre es vor kurzem erst aus dem Ofen gekommen. Die Form des Brotes war aber nicht die ägyptische. Voll Staunen erkannten beide darin eine Gabe vom Himmel. Der Einsiedler behauptete dabei, dieser Gnadenerweis sei der Ankunft des Abtes zu danken; dieser aber schob ihn vielmehr dem Glauben und der Tugend des Einsiedlers zu. So brachen sie beide das Himmelsbrot mit großer Freude. Als der Greis ins Kloster zurückgekehrt war, erzählte er es den Brüdern. Heiliger Eifer ergriff da alle; sie wollten um die Wette in die heilige Einsamkeit der Wüste eilen; sie erklärten, wenn sie noch länger in der Gemeinschaft mit vielen anderen verweilen müssten, würden sie unglücklich; der Umgang mit den Menschen sei ja nur eine Quelle von Leiden.

(12.) In diesem Kloster sah ich zwei Greise, die, wie man mir sagte, schon vierzig Jahre im Kloster waren, ohne daß sie je einen Schritt außer dasselbe gesetzt hätten. Ich glaube von diesen reden zu müssen, da ich hörte, wie der Abt selbst und alle Brüder ihrer Tugend das rühmende Zeugnis ausstellten: den einen habe die Sonne nie essen, den anderen nie zornig gesehen"...
(13.) Als ich den Wüstensaum betreten hatte, kam ich unter Führung eines wegkundigen Bruders in einer Entfernung von ungefähr zwölf Meilen vom Nil zu einem alten Mönch, der am Fuß eines Berges wohnte. Dort befand sich ein Brunnen, eine große Seltenheit in jener Gegend. Der Mönch hatte einen Ochsen, dessen ganze Arbeit darin bestand, ein Rad zu drehen und so Wasser heraufzupumpen; der Brunnen soll ja eine Tiefe von etwa tausend Fuß oder noch mehr haben. Nebenan war ein Garten voll Gemüse, ganz gegen die Natur der Wüste; hier ist ja alles ausgedorrt und durch die Sonnenglut ausgebrannt, kein Samenkorn kann auch nur ein wenig aufkeimen. Allein durch die gemeinsame Arbeit mit dem Tier und durch seine Geschicklichkeit hatte der Mönch dies fertig gebracht; die häufige Bewässerung verlieh dem Sand eine solche Fruchtbarkeit, daß die Gemüse in jenem Garten in wundervollem Grün dastanden und herrlich gediehen; wir konnten uns selbst davon überzeugen. Von dem Erträgnis des Gartens lebte der Herr mit seinem Ochsen. Auch uns bereitete der Mönch ein Mahl von diesem seinem Überfluß. Ich sah dort, was euch Galliern wohl unglaublich vorkommt, - wie der Topf mit dem Gemüse, das uns zur Mahlzeit bereitet ward, ohne Feuer glühend heiß wurde. Die Sonne brennt ja so stark, daß jeder Koch selbst für gallische Gerichte damit auskommen könnte. Nach dem Mahl, als es schon gegen Abend ging, lud er uns ein, zu dem Palmbaum zu gehen, der ungefähr zwei Meilen entfernt war. Er aß hie und da von seinen Früchten. Palmen sind die einzigen Bäume, die man, wenn auch selten, in der Wüste antrifft. Ich weiß nicht, ob sie uns durch die kluge Sorgfalt der alten Zeit geschenkt sind oder ob sie der Boden von selbst aufsprossen ließ, - auf jeden Fall hat das Gott für seine Diener zubereitet, da Er ja vorauswußte, daß diese Einöde einst Mönchen zur Wohnstätte dienen werde. Denn jene, die sich in dieser Einsamkeit niederlassen, nähren sich zum größten Teile von den Früchten dieser Bäume, da dort anderer Pflanzenwuchs nicht gedeiht. Sobald wir, von unserem freundlichen Gastgeber geführt, zu jenem Baume kamen, trafen wir dort einen Löwen. Als wir das Tier sahen, erschrak ich und mein Führer; der Mönch trat aber ohne Zaudern hinzu; wir folgten ihm, wenn auch zitternd. Wie auf göttlichen Wink trat das Tier bescheiden auf die Seite und blieb stehen, während der Mönch Früchte, die an den niedrigeren Zweigen leicht erreichbar waren, abpflückte. Dann hielt er dem Tier eine Handvoll Datteln hin. Dieses kam herzu, nahm sie aus seiner Hand, zahmer als ein Haustier, und ging dann weg, als es gefressen hatte. Bei diesem Schauspiel zitterten wir vor Angst und konnten dabei leicht ermessen, wie mächtig sich in jenem Mönch der Glaube erwies und wie schwach wir dagegen seien.

(14.) Einen anderen, nicht minder merkwürdigen Mann sahen wir in einer kleinen Hütte wohnen, die nur für einen Mann Raum bot. Man erzählte von diesem, daß sich bei seinem Mahl eine Wölfin einfinde. Selten bleibe das Tier aus und komme nicht zur gewöhnlichen Essenszeit zu ihm. Es warte so lange vor der Türe, bis er ihm das Brot gegeben habe, das bei seinem kargen Mahl übrig bleibe. Dann belecke das Tier immer seine Hand und gehe hernach fort, nachdem es so gleichsam seine Pflicht erfüllt und sich verabschiedet habe. Einmal geschah es nun, daß jener gottgeweihte Mönch einen Bruder, der ihn besuchte, auf dem Heimwege begleitete; er blieb so länger aus, erst bei Nacht kehrte er heim. Mittlerweile kam das Tier wie gewöhnlich zur Essenszeit. Da es merkte, daß der freundliche Schutzherr nicht da sei, ging das Tier in die leere Zelle, um neugierig auszuforschen, wo der Bewohner sei. Zufällig hing an der Wand ein Körbchen, das aus Palmblättern geflochten war; es war leicht erreichbar und enthielt fünf Brote. Das Tier nahm ein Brot heraus, fraß es und machte sich nach geschehener Tat davon. Nach seiner Rückkehr erblickte der Einsiedler das Körbchen zerrissen und ohne die gewöhnliche Anzahl der Brote. Er erkannte, daß er an seinem Eigentum geschädigt war, und fand neben der Türschwelle Stückchen des verzehrten Brotes. Da war er sich darüber klar, wer der Übeltäter sei. An den folgenden Tagen kam das Tier nicht wie gewöhnlich. Denn im Bewußtsein seiner frechen Tat unterließ es, zu dem zu kommen, dem es ein Unrecht zugefügt hatte. Es schmerzte nun den Einsiedler, daß er ohne den Trost seines Pflegebefohlenen sein müsse. Endlich durch sein Gebet herbeigerufen, kam das Tier sieben Tage später wie früher während seiner Mahlzeit. Allein es wagte nicht, näher zu kommen, offenbar um seine reuevolle Gesinnung zu bekunden. Die Augen in tiefer Beschämung zu Boden gesenkt, bat es, was man klar erkennen konnte, gewissermaßen um Verzeihung. Dem Einsiedler ging diese Reuegesinnung zu Herzen, er hieß das Tier näherkommen und streichelte dem Traurigen kosend den Kopf. Dann gab er ihm zwei Brote und erquickte das sündige Tier; so erlangte es Verzeihung. Jetzt verlor sich die Traurigkeit, und das Tier zeigte sich wieder erkenntlich wie vordem.
Auch hierin sollt ihr, ich bitt euch, die Kraft Christi erblicken. Zu seiner Ehre wurde verständig, was vernunftlos war; zu seiner Ehre zahm, was wild war. Eine Wölfin zeigte sich dankbar, einer Wölfin kam das Vergehen eines Diebstahls zum Bewußtsein, eine Wölfin wurde von Reuegefühl durchdrungen; als sie gerufen ward, reichte sie den Kopf hin und hatte das Gefühl, daß ihr verziehen wurde, genauso wie sie vorher Scham empfunden hatte aufgrund  des Vergehens. Das ist Deine Wunderkraft, Christus; Christus, Du hast dieses Wunder gewirkt. Denn was Deine Diener in Deinem Namen vollbringen, das ist Dein Werk. Bitter empfinden wir, daß Tiere für Deine Majestät Verständnis bekunden, Menschen dagegen ihr die Achtung verwehren.

(15.) Damit aber keinem diese Erzählung vielleicht unglaublich vorkomme, will ich noch Größeres berichten. Der Glaube an Christus bietet die Gewähr, daß ich nichts erfinde und auch nichts auf unzuverlässige Mitteilung hin erzähle, sondern nur das, was ich von zuverlässigen Männern erfahren habe. Viele halten sich in der Wüste ohne eine Hütte auf; man nennt sie Anachoreten. Sie leben von Kräuterwurzeln und lassen sich an keinem bestimmten Orte nieder, um nicht häufig Besuche zu erhalten; wo die Nacht sie überrascht, da verweilen sie. Zwei Mönche aus Nitrien suchten einen Einsiedler auf, der nach dieser Regel und Norm lebte. Sie hatten von seiner Wunderkraft vernommen; sie wohnten zwar in einer ganz anderen Gegend, allein sie hatten einst mit jenem im Kloster zusammengelebt, und da war er ihnen liebtrauter Freund geworden. Lange waren sie auf der Suche nach ihm. Endlich nach sieben Monaten fanden sie ihn am Rande der Wüste in der Nähe von Memphis. In dieser Einöde soll er sich zwölf Jahre aufgehalten haben. Obwohl er sonst allen Menschen aus dem Wege ging, entzog er sich ihnen doch nicht, als er sie wieder erkannte, sondern widmete sich ihnen als seinen Freunden drei Tage lang.
Als er am vierten Tag sie auf ihrer Heimreise eine Strecke weit begleitete, sahen sie eine Löwin von ungewöhnlicher Größe auf sich zukommen. Obwohl die Löwin drei Männer vor sich hatte, wusste sie doch genau, wen sie suche. Sie legte sich vor die Füße des Anachoreten. Während sie so dalag, wimmerte und winselte sie, wie jemand, der unter Tränen eine Bitte vorbringt. Alle wurden gerührt, besonders der Anachoret, der wohl verstand, daß die Bitte an ihn gerichtet sei. Die Löwin ging nun voran, sie folgten nach. Denn da sie von Zeit zu Zeit stehen blieb, dann wieder zurück schaute, gab sie unschwer ihr Verlangen zu verstehen, der Anachoret solle ihr dahin folgen, wohin sie ihn führe. Was soll ich noch viele Worte machen? Man langte bei der Höhle des Tieres an; dort nährte die unglückliche Löwenmutter fünf schon erwachsene Junge. Diese waren blind zur Welt gekommen und auch immer blind geblieben. Die Mutter trug eins nach dem andern aus dem Felsloch hervor und legte sie dem Anachoreten vor die Füße. Jetzt erst wurde es dem Mönche klar, was das Tier wünsche. Er rief den Namen Gottes an und berührte die geschlossenen Augen der Jungen mit der Hand. Die Blindheit wich sofort, und das lang entbehrte Licht strömte in die geöffneten Augen der Tiere.  
Jene Brüder, die den Anachoreten nach ihrem Herzenswunsche besucht hatten, kehrten zurück, für ihre Mühe reichlich belohnt. Sie waren ja Zeugen solch großer Wunderkraft gewesen und hatten mit eigenen Augen den Glauben des Mönches wahrgenommen und die Herrlichkeit Christi, die sie von da an bezeugen sollten. Wunderbar: fünf Tage später kam die Löwin zu ihrem Wohltäter zurück und brachte ihm das Fell eines seltenen Tieres zum Geschenke. Der Mönch trug dasselbe oftmals wie einen Mantel. Er hatte es nicht verschmäht, von dem Tiere das Geschenk anzunehmen, denn er sah in ihm vielmehr einen anderen Spender.

(16.) Auch der Name eines andern Anachoreten war in jener Gegend in aller Mund. Dieser wohnte in der Wüste bei Syene. Er hatte sich erst vor kurzem in die Wüste zurückgezogen und wollte von Kräuterwurzeln leben, wie sie hier und da ganz süß und außerordentlich schmackhaft im Sande wachsen. Nun sammelte er, weil er es nicht verstand, unter den Kräutern auszuwählen, häufig schädliche Wurzeln. Es war ja nicht leicht, am Geschmacke die Beschaffenheit der Wurzeln zu unterscheiden; denn es waren alle gleich süß, aber manche enthielten ganz verborgen ein tödliches Gift. Als er nun einmal solche gegessen hatte, empfand er furchtbare Schmerzen, unsägliche Peinen folterten alle edlen Körperteile; er mußte sich häufig erbrechen, der Magen versagte schon seinen Dienst, unerträgliche Schmerzen drohten sein Leben aufzureiben. Infolge davon hatte er einen großen Ekel vor allem Essbaren und brachte sieben Tage ohne Speise zu, so daß sich seine Lebenskraft verzehrte. Da kam ein Tier zu ihm, ein Steinbock. Da es sich näherte, warf er diesem ein Büschel Kräuter hin, welche er den Tag zuvor gesammelt hatte, jedoch sich nicht getraute anzurühren. Das Tier warf, was darunter giftig war, mit seiner Schnauze auf die Seite und suchte sich nur heraus, was es als unschädlich kannte. So wurde der heilige Mann durch das Beispiel des Tieres belehrt, was er essen dürfe und was nicht, entging der Gefahr des Verhungerns und wusste von da an die giftigen Kräuter zu meiden.
Es würde zu weit führen, wollte ich alles erzählen, was ich von den Bewohnern der Einöde erfahren und gehört habe. Ich blieb ein ganzes Jahr und fast sieben Monate in der Wüste, - mehr um die Tugend der andern zu bewundern, als dass ich imstande gewesen wäre, mich zu so hohen und schwierigen Grundsätzen zu verpflichten. Mehrmals verweilte ich bei jenem Greis mit dem Brunnen und dem Ochsen.

(17.) Ich besuchte auch zwei Klöster des Hl. Antonius, die bis heute von seinen Schülern bewohnt werden. Auch dorthin kam ich, wo der Hl. Paulus, der erste Einsiedler, gelebt hat. Ich sah das Rote Meer und die Gebirgskette des Sinai, die mit ihrer Spitze fast bis zum Himmel reicht und nicht erstiegen werden kann. Ich hatte gehört, daß sich in den dortigen Schluchten ein Anachoret aufhalte. Lange suchte ich nach ihm, konnte ihn aber nicht zu Gesicht bekommen, fast fünfzig Jahre lebte er fern vom Verkehre mit den Menschen. Er trug kein Gewand, sondern war nur von den dichten Haaren seines Körpers bedeckt; durch Gottes Gnade wußte er nicht um seine Nacktheit. So oft ihn fromme Männer besuchen wollten, eilte er rasch an unzugängliche Orte und mied jede Begegnung mit Menschen. Nur einem einzigen soll er — es sind fünf Jahre her — eine Unterredung gewährt haben. Jener hat diese Gnade wohl durch die Kraft seines Glaubens verdient. Als er den Einsiedler unter anderem fragte, warum er die Menschen so fliehe, soll er zur Antwort gegeben haben: wer häufig von Menschen Besuch erhalte, könne nicht auf Besuche von Engeln rechnen. Deshalb bildete sich nicht mit Unrecht unter den Leuten die Meinung, und ging das Gerede, jener Mönch werde von Engeln besucht.
Vom Berge Sinai ging ich wieder zum Nil zurück; ich durchwanderte auf beiden Seiten die Ufer, die mit Klöstern wie besät sind. Oft konnte ich, wie ich schon sagte, wahrnehmen, daß an einem Orte Hunderte beieinander wohnten. Ja es ist sicher, daß selbst zwei- und dreitausend in derselben Ortschaft beisammen lebten. Ihr müsst aber nicht meinen, daß die so zahlreich zusammenlebenden Mönche jenen Grad der Tugend nicht erreicht hätten, den ihr bei denen fandet, die sich von der Gesellschaft der Menschen getrennt haben. Als vorzüglichste und hauptsächlichste Tugend gilt hier, wie ich schon sagte, der Gehorsam. Keiner, der sich zur Aufnahme meldet, wird vom Abte des Klosters aufgenommen, wenn er nicht vorher auf die Probe gestellt und geprüft wurde; er muß ja bereit sein, in Zukunft jeden, auch noch so harten, beschwerlichen und unerträglichen Befehl des Abtes zu erfüllen.

(18.) Nur zwei große Wunder will ich euch erzählen, - Wunder eines fast unglaublichen Gehorsams, obgleich ich mich an viele erinnere, die ich erwähnen könnte. Doch wem wenige nicht genügen, um sich dadurch zur Tugend aneifern zu lassen, dem frommen auch viele nicht. Als einer der Welt Lebewohl sagte, sich in ein Kloster mit strenger Zucht begab und um Aufnahme bat, stellte ihm der Abt vieles vor die Seele: die Mühsal dieser Lebensordnung sei gewaltig, hart seien seine Befehle, selbst ein geduldiger Mann könne sie nicht leicht zur Ausführung bringen. Er solle lieber ein anderes Kloster aufsuchen, wo man nach leichteren Satzungen lebe; er solle nicht in Angriff nehmen, was er doch nicht vollenden könne. Indes jener ließ sich dadurch nicht einschüchtern, versprach im Gegenteil in allem Gehorsam; heiße ihn der Abt ins Feuer springen, dann sei er sofort dazu bereit. Sobald der Meister diese Zusage vernommen hatte, stellte er ihn unverzüglich auf die Probe. Zufällig brannte in der Nähe ein Ofen; er war stark geheizt und zum Brotbacken zubereitet, die Flammen schlugen oben aus dem Ofen heraus; in seinem Hohlraum wütete fessellos der Feuerbrand. Der Meister befahl dem Ankömmling, sich dort hineinzustürzen. Dieser zauderte nicht, dem Befehle nachzukommen. Ohne Zögern warf er sich mitten in die Flammen. Sofort wichen diese, besiegt durch solch kühnen Glauben, vor ihm zurück, wie einst vor den hebräischen Jünglingen. Die Natur war überwunden, das Feuer entfloh. Man hätte glauben sollen, jener würde zu Asche verbrennen, aber zu seiner eigenen Verwunderung ward er wie von erfrischendem Tau umgeben. Doch, Christus, was brauchen wir darüber zu staunen, daß jenes Feuer Deinen Jünger nicht berührte? So brauchte der Abt seinen Befehl nicht zu bedauern, und der Schüler brauchte es nicht zu bereuen, daß er dem Befehle Folge geleistet hatte. Am Tage seiner Ankunft sollte jener als Schwächling erprobt werden, ward aber vollkommen erfunden. Wahrhaft glückselig ist er, wahrhaft ruhmwürdig, im Gehorsam erprobt, im Leiden verherrlicht.

(19.) Was ich jetzt erzählen will, soll sich im selben Kloster erst vor kurzem ereignet haben. Wieder kam einer zu dem Abte und bat um Aufnahme. Als erstes Gesetz wurde ihm der Gehorsam vorgehalten. Jener versprach, in allen, selbst den schwierigsten Verhältnissen immer Geduld üben zu wollen. Der Abt hielt gerade eine schon längst eingetrocknete Storaxrute in der Hand. Er steckte diese in den Boden und gab dem Ankömmling den Auftrag, die Rute solange mit Wasser zu begießen, bis das dürre Holz in dem ausgedörrten Boden zu grünen anfange, was ja den Naturgesetzen ganz widersprach. Gehorsam dem harten Befehle trug jener täglich auf seinen Schultern Wasser herbei. Man mußte es ungefähr zwei Meilen weit aus dem Nil holen. Schon war ein Jahr verstrichen, die mühsame Arbeit dauerte immer noch an; es war auch keine Aussicht, daß die Mühe Erfolg haben könne. Dennoch hielt die Kraft des Gehorsams aus bei dieser Arbeit. Auch das folgende Jahr spottete der fruchtlosen Mühe, schon wollte dem Bruder der Mut sinken. Die Zeit verging. Es war schon im dritten Jahre, der fleißige Wasserträger war bei Tag und Nacht an der Arbeit. Endlich begann das Reis zu blühen. Ich habe selbst das Bäumchen gesehen, das aus jener Rute gewachsen ist; bis heute steht es im Vorhofe des Klosters und ist mit seinen grünen Zweigen ein fortdauerndes Zeugnis für das Verdienst des Gehorsams und die Kraft des Glaubens geblieben. Doch der Tag ginge zu Ende, bevor ich alle verschiedenen Wunder der Reihe nach aufzählen könnte, die mir von der Tugendkraft der Mönche bekannt geworden sind.

(20.) Noch zwei lehrreiche Erzählungen will ich folgen lassen; die eine ist eine eindringliche Warnung vor Stolz und armseliger Eitelkeit, die andere bietet ein treffendes Beispiel gegen falsche Gerechtigkeit. Ein Mönch besaß eine unglaubliche Gewalt, Teufel aus Besessenen auszutreiben. Täglich wirkte er unerhörte Zeichen; nicht bloß durch seine Gegenwart und mit Worten heilte er Besessene, sondern zuweilen auch, wenn er abwesend war, durch Übersendung von Fasern seines Bußgewandes oder Briefen. Es schien unglaublich, wie man scharenweis aus allen Weltgegenden zu ihm strömte. Ich will nicht reden von gewöhnlichen Leuten: oft lagen sogar Präfekten, Comites und Beamte verschiedener Gerichtshöfe vor seiner Türe. Selbst heilige Bischöfe vergaßen ihrer bischöflichen Würde und verlangten demütig, er möge ihnen seine Hand auflegen und sie segnen. Sie glaubten nicht mit Unrecht, jedesmal, wenn sie jenes Mannes Hände oder Gewand berührten, würden sie geheiligt und mit göttlichen Gaben ausgerüstet. Es hieß von ihm, daß er sich allezeit jeglichen Getränkes enthalte und sein Leben — ich will es dir ins Ohr sagen, Sulpicius, damit es Gallus nicht höre — mit ganzen sechs getrockneten Feigen gefristet habe. Allmählich erwuchs dem heiligen Mann aus seiner Tugend äußere Ehrung. Aber mit der Ehre begann auch Eitelkeit sich einzuschleichen. Sobald er merkte, daß das Übel in ihm um sich greife, versuchte er zwar lang und viel, es zu unterdrücken, indes es gelang nicht ganz. Im tiefsten Herzenswinkel blieb noch eitle Selbstgefälligkeit versteckt, da die Wunderkraft fortdauerte. Die Dämonen machten seinen Namen überall bekannt. Der Mönch vermochte die zusammenströmenden Volksscharen nicht von sich fernzuhalten. Mittlerweile fraß das Gift im Verborgenen seines Herzens weiter. Er, der doch aus dem Körper anderer durch seinen Befehl die bösen Geister austrieb, war nicht imstande, sich selbst von den Gedanken geheimer Eitelkeit freizumachen. Nun wandte er sich in innigem Gebete zu Gott und soll darum gefleht haben, daß dem Teufel fünf Monate lang Macht über ihn gegeben werde, und er so jenen gleich werde, die er selbst geheilt hatte. Kurzum, der Mann, der so übermächtig und seiner Zeichen und Wunder wegen im ganzen Morgenlande berühmt war, der Mann, vor dessen Schwelle die Volksscharen zusammenfluteten, vor dessen Türe sich die höchsten Reichsbeamten niederwarfen, der wurde jetzt von einem Teufel ergriffen und in Banden geschlagen. All das, was die Besessenen gewöhnlich zu erdulden haben, mußte er ausstehen. Erst nach fünf Monaten wurde er wieder frei nicht bloß vom Teufel, sondern auch von der Hoffart, was ihm nützlicher und auch lieber war…

(22.) Ein junger, reicher, vornehmer Asiate war Tribun in Ägypten. Er hatte ein Weib und einen kleinen Sohn. Auf seinen Kriegszügen gegen die Blember kam er öfter durch einen Teil der Wüste, sah dort mehrere Mönchsbehausungen und nahm auch die Heilsbotschaft an aus dem Munde des heiligen Mannes Johannes. Bald lernte er den unnützen Kriegsdienst mit seinen eitlen Ehren verachten. Voll Mut begab er sich in die Wüste und bald erstrahlte er dort als Vorbild jeglicher Tugend. Stark im Fasten, ein Muster der Demut, fest im Glauben, tat er es bald den alten Mönchen im Tugendstreben gleich. Aber nach und nach stieg in ihm, auf des Teufels Einflüsterung hin, der Gedanke auf, daß es besser sei, wenn er in sein Vaterland zurückkehre und seinen einzigen Sohn, sein ganzes Haus und seine Gattin für den wahren Glauben gewinne. Dies sei Gott angenehmer, als sich bloß damit zu begnügen, für sich selbst wohl der Welt zu entfliehen, aber das Heil der Seinen in liebloser Weise zu vernachlässigen. Ganz verblendet durch den Schein solch falscher Gerechtigkeit verließ er nach vier Jahren seine Zelle und gab seinen Eremitenberuf auf. Als er aber zum nächsten Kloster gekommen war, das von vielen Brüdern bewohnt wurde, gab er auf Befragen Grund und Absicht seines Wegganges an. Alle rieten ihm ab; zumal der dortige Abt suchte ihn zurückzuhalten. Indes, jener ließ sich nicht von der Ansicht abbringen, die sich traurigerweise in ihm festgesetzt hatte. In unseliger Verblendung stürzte er davon und verließ zum Bedauern aller die Brüder. Kaum war er jedoch ihren Augen entschwunden, da fuhr ein Teufel in ihn. Mit seinen eigenen Zähnen zerfleischte er sich, und blutiger Geifer strömte aus seinem Munde. Auf den Schultern der Brüder wurde er wieder ins Kloster zurückgetragen. Da man den bösen Geist in ihm nicht zu bändigen vermochte, mußte man den Unglücklichen in Eisen legen und an Händen und Füßen fesseln. Diese Strafe hatte der Flüchtling wohl verdient. Da der Glaube ihn nicht zurückhalten konnte, musste die Kette ihn halten. Erst nach zwei Jahren befreite ihn endlich das Gebet der Mönche vom bösen Geiste. Der Geheilte kehrte alsbald in die Wüste zurück, die er verlassen hatte. Nachdem er so selbst gebessert worden, war er künftighin den anderen ein Beispiel dafür, daß sich niemand durch falsche Scheingerechtigkeit täuschen oder in unnützem Leichtsinn und schwankender Unbeständigkeit verleiten lassen dürfe, das, was er einmal angefangen hat, wieder aufzugeben. Jetzt habt ihr aber genug von den Wunderwerken gehört, die Gott in seinen Dienern gewirkt hat, entweder als Vorbild zur Nachahmung oder zum abschreckenden Beispiel. Ich habe euch genug geboten, ja vielleicht mehr als recht ist geredet …

(Ausschnitte aus dem Ersten der “Drei Dialoge”)





Eine Prophezeiung des Heiligen Martin von Tours
(aus dem Dritten der “Drei Dialoge”)

(14.) Als wir ihn¹ über das Ende der Welt befragten, sagte er uns, zunächst müssen Nero² und der Antichrist auftreten, Nero werde zehn abendländische Könige überwinden und dann die Herrschaft führen; er müsse eine Verfolgung eintreten lassen, um so zum Götzendienste zu zwingen. Der Antichrist werde zuerst im Morgenlande die Herrschaft an sich reißen und Jerusalem zur Residenz und Hauptstadt seines Reiches machen. Er werde Stadt und Tempel wiederherstellen. Die Verfolgung, die er anfange, ziele darauf ab, zur Leugnung der Gottheit Christi zu zwingen. Dafür werde er sich selbst als Christus ausgeben und den Befehl erteilen, daß sich alle nach dem Gesetze beschneiden lassen müßten. Nero selbst werde schließlich vom Antichrist vernichtet, und so müßten alle Völker der Erde unter dessen Herrschaft kommen, bis der Gottlose durch Christi Ankunft gestürzt werde. Es sei sicher, daß der Antichrist, vom bösen Geiste gezeugt³, schon zur Welt geboren sei und in den Knabenjahren stehe. Wenn er das verlangte Alter habe, werde er die Herrschaft an sich reißen. Acht Jahre sind es, seit wir das aus seinem Munde vernommen haben. Urteilt selbst, wie schrecklich nahe schon ist, was wir für die Zukunft zu befürchten haben."



Anmerkungen:

¹ D. h. den Heiligen Martin von Tours
² Gemeint ist hier natürlich nicht Nero selbst, welcher schon längst gestorben war (+ 68 n. Chr.), sondern ein zukünftiger Tyrann.
³ In geistiger Hinsicht, nicht körperlich - nach der Lehre der Heiligen Väter.
⁴ Schon in den ersten Jahrhunderten nach Christus wurde von vielen Christen das Kommen des Antichristen erwartet. Dies zeigt uns, wie vorsichtig wir mit genauen Vorhersagen sein müssen - auch wenn jetzt die Anzeichen für dessen Kommen unvergleichlich deutlicher sichtbar sind.




Quelle:

Des Sulpicius Severus Schriften über den hl. Martinus.
Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 20.
Kempten, München: J. Kösel, 1914.


Quellen der Fotografien: